Wenn mir mal jemand erzählt hätte, dass ich volle 15 Minuten entzückt auf einen Beutel mit nassem Sägemehl starren würde … Ja genau: Das Ganze klingt doch ziemlich unwahrscheinlich bis bekloppt. Aber jetzt sitze ich genau hier und starre hingebungsvoll. Und höre außerdem äußerst gebannt zu, wie mich Torsten Jonas begeistert in die komplexe Welt des feuchten Sägemehls mitnimmt. Torsten ist einer der erfahrensten Pilzzüchter Deutschlands und Geschäftsführer beim Pilzgarten Helvesiek. Und das, was er mir da stolz in einem Plastikbeutel präsentiert und erklärt, ist natürlich nicht einfach nur irgendein dahergelaufenes Sägemehl. Es handelt sich viel mehr um eine äußerst sorgsam ausgeklügelte Zusammenstellung von bestimmten gemahlenen Holzarten, Getreide und Wasser – im Fachjargon: Substrat. Und eben dieses unscheinbare Substrat ist die entscheidende Eintrittskarte in die faszinierende Welt der Edel-Pilze.
Rätselhafte Pilze: nicht Tier nicht Pflanze – sondern eine Gattung für sich
Wer schon mal abseits der Wege im Wald war (oder mit Oma und Opa Pilze suchen), weiß: Pilze lieben Holz. Und zwar am liebsten verrottet. Häufig wachsen sie in der Nähe von umgefallenen Baumstämmen oder -stümpfen. Sie ernähren sich nämlich vorzugsweise von Zellulose, die in großen Mengen in Holz vorkommt. Dafür sondern sie ein Enzym ab, dass die Zellulose aus dem Holz herauslöst und so für sie aufnahmefähig macht. Das ganze ist ein bißchen wie ein externer Verdauungsprozess, wie man ihn z.B. von Spinnen kennt. Damit sind wir dann auch schon mittendrin in der wunderbaren Welt der Pilze.
Nicht nur die Nährstoffaufnahme dieser Lebewesen funktioniert anders als bei den meisten Tieren oder Pflanzen – Pilze sind tatsächlich eine ganz eigenes Reich für sich. Dabei können manche der unzähligen, auf der Erde vorkommenden Arten geradezu gigantische Ausmaße annehmen. In den USA wurde ein Pilz entdeckt, dessen Gewicht auf 800 Tonnen geschätzt wird. Wer sich jetzt gerade fragt, warum – zum Kuckuck – so ein Monster-Pilz überhaupt erst entdeckt werden musste (vermutlich hatte der ja mindestens die Ausmaße des Eiffelturms und sollte somit weithin sichtbar sein), muss wissen: Der eigentliche Pilz wächst unter der Erde.
Das, was wir an der Oberfläche als Pilz kennen, ist eigentlich nur eine Frucht, eine Fortpflanzungs-Ausformung von erwachsenen, geschlechtsreifen Exemplaren. Diese bilden nämlich kleine oder größere Ständer mit Hütchen, die über der Erde Sporen aussenden und so für die Vermehrung sorgen. Man geht davon aus, dass rund ein Drittel der gesamten Erdmasse von Pilzen gestellt wird. Manche von ihnen sind essbar und sogar so köstlich, dass man sie ganz bewusst als Edel-Pilze züchtet. Wie z.B. Torsten Jonas im Pilzgarten Helvesiek.
Edel-Expertise auf der grünen Wiese
Das kleine Dörflein Helvesiek liegt zwischen grünen Wiesen und Feldern im Landkreis Rotenburg (Wümme) in Niedersachsen. Hier ist es so lauschig, dass sich Fuchs und Hase ganz sicherlich regelmäßig „Gute Nacht sagen“. Und mitten in diesen grünen Wiesen liegt der Pilzgarten. Eine Handvoll umspektakulärer Hallen sind die Heimat für 8 unterschiedliche Edelpilz-Sorten. Und die sind dann doch ganz schön spektakulär: Einen Kräuterseitling oder einen Shiitake kennen Kochinteressierte wahrscheinlich noch. Aber wie schaut es mit dem Kastanienseitling, der Samthaube oder dem Pom-Pom blanc aus? All diese Edel-Pilze wachsen im Pilzgarten und haben eines gemeinsam: Sie sind köstlich. Und sie mögen Substrat. Am allerliebsten das von Torsten Jonas.
Es wäre viel zu aufwändig und zu unsicher, wenn man Speisepilze tatsächlich auf verrottenden Baumstämmen ansiedeln würde. Um wirtschaftlich, qualitätsorientiert und lebensmittelsicher eine kalkulierbare Ernte züchten zu können, musste ein anderer Weg gefunden werden. Torsten hat einen spannenden Lebenslauf, verbrachte erst einige Jahre im Hamburger Schanzenviertel und ging dann als Doktorant des Gartenbaus nach Guatemala. Dort lernte er auch seine reizende Frau Heike kennen und lieben. Als die beiden dann nach Deutschland zurückkehrten, gab es eine freie Position im Pilzgarten. Dort versuchte man bereits seit einigen Jahren, eine professionelle Pilzucht zu realisieren. Bis dahin mit nur mäßigem Erfolg.
Torsten nahm die Herausforderung in Helvesiek an, krempelte den Zuchtprozess von Grund auf um und entwickelte u.a. eine eigene Substratmischung – der Schlüssel zur erfolgreichen Pilzzucht. Das Sägemehl-Gemisch muss eine konstant exakte Zusammensetzung und einen idealen Feuchtegrad haben. Heute gehört der Pilzgarten zu den führenden Bio-Pilzzuchtbetrieben in Europa, ist Demeter-zertifiziert und liefert das fertige Substrat auch an andere Betriebe. Und Heike betreut inzwischen schon einige Jahren das Marketing beim Pilzgarten.
Vom Impfen, Popcorning, Mimosen und japanischen Pilz-Explosionen nach Erdbeben
Aber wie kommt der Bio-Edel-Pilz denn jetzt in das Substrat – und vor allem wieder raus? Das fertig gemischte Substrat wird in Plastikbeutel zu einem sogenannten Substratblock abgefüllt und unter Druck in großen, spezialangefertigten Kesseln sterilisiert. Damit wird sichergestellt, dass sich keine unerwünschten Keime und schädlichen Schimmelpilzsporen im Substrat befinden. Die Substratblöcke werden anschließend in einem speziell abgeschirmten Reinraum mit Edel-Pilz-Sporen „geimpft“.
Die fertig geimpften Beutel kommen für einige Wochen – die exakte Dauer variiert nach Pilzsorte – eng gestapelt in die Lagerhallen. Dort kann sich der Pilz abgedunkelt und bei konstanter Temperatur von der Spore zu einem erwachsenen Organismus entwicklen und das Substrat ganz durchdringen. Manche der Pilzarten bilden dabei braune, knusprig anmutende Bereiche, die in der Fachsprache als Popcorning bezeichnet werden. Danach ist der Pilz vermehrungsbereit – er wird bei nächster Gelegenheit seine Früchte, die essbaren Edel-Pilze bilden wollen.
In dieser Phase ist der Pilz im Substratbeutel eine richtige kleine Mimose. Er ist so sensibel, dass ihm bereits kleine Erschütterungen oder Temperaturschankungen signalisieren: „Auf geht´s!“ Innerhalb kürzester Zeit bildet er dann zu früh unerwünschte Früchte in den Beuteln. Diese sind zwar durchaus genießbar, genügen in Form und Größe aber nicht den Anforderungen des Marktes. Im pilzaffinen Japan kommt es so regelmäßig zu wahren, unerwünschten Pilzexplosionen bei den Züchtern: Ein kleines Erdbeben kann die gesamte Pilz-Ernte innerhalb von wenigen Sekunden verderben.
Wenn der Pilz in seinem Substratblock optimal gereift und zur Fruchtbildung bereit ist, zieht er in eine andere Halle mit Feuchtigkeitsberieselung um. Der Plastikbeutel wird dann bis auf einen ganz kleinen Bereich am Boden komplett entfernt. Die Pilzballen lagern luftig auf Regalkonstruktionen und bilden innerhalb weniger Tage die köstlichen Edel-Pilze.
Von Hand geerntet und kurze Zeit später im Bio-Markt
Haben die Pilze die gewünschte Größe erreicht, werden sie von Hand geerntet, sortiert und in Steigen verpackt. Wenige Stunden später befinden sie sich dann schon auf dem Weg zu Bioläden und Wochenmärkten oder auch zu Produzenten, die beispielsweise aus Shiitake-Pilzen vegane Produkte wie Bratlinge herstellen.
Edel-Pilze @home: die ideale Lagerung. Und die eigene kleine Zucht mit Pilz-Kit
Damit Edel-Pilze auch optimal im heimischen Kühlschrank lagern, sollte man sofort jede Plastikfolie entfernen (das gilt übrigens auch für Champignons und Co). Die Pilze nicht zu dicht gepackt in eine Papiertüte legen, diese locker umschlagen und ohne Druck durch andere Lebensmittel in die Gemüseschublade (die kälteste Stelle im Kühlschrank) legen. Frische Ware hält sich dann problemlos mehrere Tage ohne große Qualitätseinbußen.
Und wenn ihr Lust bekommen habt, selber Edel-Pilze im heimischen Keller oder Badezimmer zu züchten: Der Pilzgarten bietet auch praktische Pilz-Kits zum Bestellen mit drei idiotensicheren Sorten für die eigene heimische Pilzernte an. Man braucht nur ein bißchen Wasser und eine ruhige, nicht zu warme Stelle – und einige Tage später kann man ordentlich eigene Edel-Pilze ernten. Ich bin gerade selber dabei und schon sehr gespannt auf meine persönliche Ernte. Ich werde berichten!
Das ist ja genial! Leute, haltet Euch fest, wer mich kennt, bekommt in naher Zukunft zu allen Anlässen Pilz-Kits – die ersten sind schon bestellt :-)) Danke Mel, für diesen schönen Bericht und die wunderbare Geschenkidee.