Laufen, laufen … immer weiter, die klare Luft atmen und merken, wie man unter der Kleidung wohlig warm wird. Wir laufen in Gummistiefeln durch den Wald und ich habe nichts mitgenommen; kein Handy, keinen Schlüssel, kein Portemonnaie, keinen Ballast. Ich fühle mich ein bißchen wie in einer gotischen Kathedrale: die aufstrebenden Linien der Baumstämme, die sich hoch oben in Spitzbögen zu treffen scheinen, die fast andächtige Stille, das gedämpfte Licht, das hier und da durch die Blätter bricht und Punkte und Kreise auf den Boden malt. Auf den moosigen, ganz weichen Boden. Ab und zu tut sich eine kleine Lichtung mit saftigem Grün auf. Wir laufen auf einer uralten Grenzanlage durch den Wald. Der kleine, manchmal nur fußbreite Wall, führt kilometerweit geradeaus.
Es ist ganz wunderbar – in den ganzen 2,5 Stunden, die wir laufen, treffen wir nur zwei Menschen und einen Hund. Der Hund heißt Dillen und mag nach Aussage seiner Besitzerin andere Hunde und Frauen. Wir haben also Glück. Bei einem Landgasthof machen wir auf der Bank vorm Eingang kurz Rast und unterhalten uns. Dann geht es weiter. Immer wieder sehen wir rechts und links Hollundersträucher, die schwere Dolden tragen. Viele sind schon ein bißchen „drüber“. Vivien erzählt von ihrer Leidenschaft für Holunderbeergelee und dass sie ihrer Nachbarin unbedingt ein Glas vom Selbstgemachten abluchsen will. Wir laufen weiter.
Die Umgebung ändert sich, wir kommen an Spalierobst und einsam gelegenen Häusern vorbei und zischen Feldern hindurch. Und dann sehen wir ihn: den perfekten Holunderstrauch. Wir tauschen einen Blick, kämpfen uns durch die Brennnesseln und fangen wie selbstverständlich an, die reifen, großen Dolden zu pflücken. Keine Ahnung, wie wir Gelee daraus machen können – aber das werden wir schon herausfinden. Leider haben wir keine Tasche dabei, aber eine Rolle braune Hundebeutelchen in der Jackentasche. Was soll´s, die sind ja auch aus fabikneuem Plastik. Acht volle Beutelchen pflücken wir, bevor wir uns daran erinnern, dass wir auch noch zum Auto zurück laufen müssen. Wir beschließen, dass wir uns diesen Busch auf jeden Fall merken müssen und im nächsten Jahr wiederkommen wollen.
Zu Hause haben wir dann besagte Nachbarin angerufen und sie über die Zubereitung von Holunderbeergeleé befragt. Wir brauchen Holunderbeeren, Gelierzucker und Gläser … das kriegen wir hin.
Und dann haben wir es getan:
Zunächst müssen die kleinen Holunderbeeren von den Rispen und Stengelchen befreit werden. Dafür nimmt man sich am besten ein paar Stündchen Zeit und legt ein laaaanges Hörpspiel oder einen Film ein und zieht auf jeden Fall Handschuhe dabei an. Vivi hatte zufällig am Tag vorher “Die Blechtrommel” auf DVD geschenkt bekommen. Da wir beiden den Film noch nicht gesehen hatten (Bildungslückenalarm!), haben wir dann 2 bis 3 Stunden kleinen blaue Beerchen von Stengelchen gerupft und den Film angeschaut, der als erster deutscher einen Oskar erhalten hat. Ein fast meditatives Erlebnis … wenn nicht immer wieder plötzlich ein Ohrenkneifer aus der Schüssel aufgetaucht wäre und mich in Angst und Schrecken versetzt hätte. Ja ich weiß: der ist so klein und ich bin so groß und so weiter. Aber Ohrenkneifer fand ich schon immer bedenklich. Vivi hat sie dann jedesmal mit mildem Lächeln für mich in den Garten verbracht.
Irgendwann war dann der Film aus und die Schüssel mit den abgepulten Beeren voll. Jetzt konnte es mit dem nächsten Schritt weitergehen:
Für Gelee muss man den Saft der Beeren gewinnen – die Früchte an sich bleiben draußen. Da wir keinen Dampfentsafter oder ähnliches Profiequipment hatten, haben wir die Beeren zunächst mit dem Schneidestab püriert. Der urprüngliche Plan war, das Püree dann durch Mulltücher zu passieren. Leider zählen Mulltücher heutzutage nicht mehr zum Standardsortiment in Drogeriemärkten. Wir waren in drei Märkten und die Verkäufer wussten jedesmal noch nicht mal, was ich meinte. Verflixt. Unser Holunder-Abenteuer sollte doch nicht an so einem profanen Problemchen scheitern!
Was kann man außer Mulltüchern noch nehmen? Man braucht ein reißfestes Gewebe mit möglichst kleinen Löchern, in das man ein paar Liter Obstpüree kippen kann … ein Wäschesäckchen! Vermutlich ist unser Holundergelee das erste, das mit Hilfe eines Wäschesäckchens hergestellt wurde. Aber es hat tadellos funktioniert: Das Säckchen über eine Schüssel halten und das Fruchtpüree einfüllen. Dann von oben mit kräftigem Druck nach und nach den Saft auspressen. Eine herrliche Schweinerei!
Nach der Packungsangabe auf dem Gelierzucker eine entsprechende Menge Saft abmessen und in einen Topf geben. Den Zucker zufügen und unter Rühren langsam aufkochen. Man erschrickt sich schon ein bißchen, wie viel Zucker in den Topf kommt … aber wir essen die Marmelade ja nicht kiloweise (hoffentlich). Die Mischung ein paar Minuten sprudelnd kochen lassen, dabei immer rühren.
Sehr saubere Twist-off-Gläser auf einem Geschirrtuch bereitstellen (wir haben alle Gläser bei 70 Grad im Geschirrspüler gespült). Dann den gekochten Saft in ein Gefäß mit Ausgießer schöpfen und die Gläser damit sauber randvoll befüllen. Sofort die Deckel aufschrauben und die Gläser umgekehrt auf das Geschirrtuch stellen.
Das war´s auch schon. Die Gläser möglichst wenig bewegen, bis das Gelee fest geworden ist. Dann prüfen, ob sich im Glas ein Vakuum gebildet hat: die kleine Delle in der Deckelmitte ist nach innen geformt und lässt sich nicht eindrücken. Sollte das bei einem Glas mal nicht geklappt haben, dieses im Kühlschrank aufbewahren und möglichst bald aufessen. Die restlichen Gläser halten sich ein paar Monate.
Wir hatten noch ein Paket Gelierzucker übrig, aber nicht genug Saft. Also haben wir überlegt, womit man die fehlende Saftmenge auffüllen könnte. Ein kurzer Blick in den Kühlschrank … gibt es irgendetwas, das mit rosa Crémant nicht noch besser schmeckt? Kurzentschlossen haben wir unser letztes Fläschchen dem Holundergelee geopfert.
Am nächsten Morgen haben wir das Holundergelee mit rosa Crémant auf frischen Brioches mit Butter und Schichtkäse probiert. Magnifique! Es hat sich gelohnt …
Und wo ist mein Glas …?
Schätzelein, wenn Du mal wieder in der Freien & Hansestadt weilst, lässt sich das machen.
…iiiiiiiihhhhhhhhh, der sichtbare “Anschnitt” meines Arms erweckt durch seine Farbigkeit Assoziationen von Fleischwurst! (Noch verstärkt durch diese kleine fiese Falte unterhalb des Gummihandschuhs.)
…ok, … also jetzt immer schön auch die Anti-Falten-Creme unterhalb der Handgelenke auftragen…oder einfach die Handgelenke nicht mehr bewegen!
…hm,…sollte das etwa doch kein Rezept für Vegetarier sein?
…egal,….schööööön wars’und lecker ists’ noch immer!!!