„Mel., das Käsen macht ganz viel mit dir. Tief im Inneren.“ Ähm, ok. So einen Satz muss man ja erst mal kurz verdauen. Normalerweise habe ich es ja eher nicht so mit der Esoterik. Aber jetzt sitze ich hier mitten in Wien mit Johannes Lingenhel an einem langen Holztisch und spreche über das Käsen – also den Herstellungsprozess von Käse. Der Johannes brennt dabei so herrlich verrückt-sympathisch für das Thema, dass man ihn einfach sofort mögen muss.
Und er scheint genau zu wissen, wovon er spricht. Immerhin hat er im Hinterhaus eines historischen Gebäudes mit viel Herzblut Wiens einzige Stadtkäserei aufgebaut. In dieser Manufaktur stellt er handwerklich und in kleinen Mengen einzigartigen Käse her und verkauft diesen zusammen mit anderen Spezialitäten vorn in seinem Laden mit angeschlossenem Restaurant.
Mein Kenntnisstand über die Herstellung von Käse ist bisher – sagen wir mal – eher funktional. Wir haben Milch, wir haben Lab und schwups! liegt irgendwann ein köstlich gereifter Käse auf meinem Teller. So weit, so genussorientiert ist mein Käseverhältnis.
Aber das wird sich hier und heute ändern! Zusammen mit Johannes werde ich tief in das traditionelle Käsen eintauchen (und zwar tiefer, als ich gerade noch ahne). Mitten in Wien stellen wir heute handwerklichen Käse aus frischer Heumilch g.t.S. her, die erst am Vorabend schüttelfrei mit einem Sondertransport aus der Bergregion Österreichs gebracht wurde. Initiator dieser spannenden Idee ist die AMA Marketing– die Agrar Markt Austria Marketing Gesellschaft – die mit der Aktion Senner meets Blogger Heumilch und Käse aus Österreich etwas mehr ins verdiente Rampenlicht rücken möchte.
Was macht Milch zu Heumilch? Und was beutetet „g.t.S.“?
Heumilch g.t.S. ist eine österreichische Milchspezialität und die ursprünglichste Form der Milcherzeugung. Die Abkürzung g.t.S steht für „garantiert traditionelle Spezialität“, ein EU-Gütesiegel, das im deutschsprachigen Raum erstmals für die österreichische Heumilch vergeben wurde. Seit Jahrhunderten erfolgt die Fütterung des Viehs angepasst an den Lauf der Jahreszeiten. Den Sommer verbringen die Kühe auf Weiden und Almen, wo sie eine Auswahl von bis zu tausend verschiedenen Gräsern und Kräutern genießen. Im Winter werden die Tiere mit Heu gefüttert. Vergorene Futtermittel und Gentechnik sind verboten.
Rund 8.000 Heumilchbauern und sechzig Verarbeiter produzieren vor allem in Salzburg, der Steiermark, Tirol und Vorarlberg nach dem strengen und laufend kontrollierten Heumilch-Regulativ. Die traditionelle Fütterung der Tiere wirkt sich insbesondere auf den Geschmack aus: Je größer die Gräser- und Kräutervielfalt im Futter ist, umso höher sind die Qualität und das Aroma der Milch sowie aller Heumilchprodukte.
Aber natürlich geht es bei Senner meets Blogger nicht nur um den „Rohstoff“ Heumilch g.t.S., sondern auch um die Menschen, ihre Leidenschaft für tolle Produkte und um die Tiere. Also … ich wäre dann so weit!
Bester Frischkäse braucht: beste Milch, Zeit und sonst nix
Wie so oft bei der Lebensmittelherstellung muss allerdings erst mal die Schutzkleidung bewältigt werden. In der letzten Zeit hatte ich ja schon einige aufwändige Monturen an, aber heute komme ich mit einem Paar beeindruckend weißen Gummistiefeln und einer farblich passenden Lackschürze glimpflich davon. Zum Aufwärmen in Sachen Käseherstellung nehmen wir uns dann auch erst einmal etwas einfaches vor: Frischkäse aus Heumilch.
Johannes hat die frische Heumilch am Vorabend sanft erhitzt, mit Milchsäurebakterien versetzt und über Nacht reifen lassen. Jetzt präsentiert er mir einen Eimer mit einer dickmilchähnlichen Masse – dem Käsebruch. Damit aus diesem Milchbrei Frischkäse werden kann, muss die Molke abfließen. Das erreicht Johannes, indem er den Käsebruch auf Lochmatten immer wieder behutsam hin und her bewegt, sodass die Flüssigkeit austreten kann. So entsteht ein immer fester werdender Milchteig, der anschließend noch weiter ganz in Ruhe abtropfen darf, bis er formbar ist. Dann wird der Frischkäse ohne weitere Zutaten in hohe Formen gefüllt und ruht noch mal einige Stunden. Danach ist er servierfertig.
Johannes betont immer wieder, dass es bei einem wirklich guten Frischkäse auf ganz wenige, aber dafür entscheidende Dinge ankommt: ausgezeichnete Milch, ausreichend Zeit und die Muße, sich immer wieder um den Käse zu kümmern. Insbesondere das Ausgangsprodukt Milch liegt ihm sehr am Herzen. Nur aus Milch von Tieren mit artgerechter Weide-Haltung, natürlichem Futter, ohne Stress und mit möglichst kleiner Milchproduktion kann seiner Ansicht nach überhaupt ein wohlschmeckendes, natürliches Produkt werden. Und da ist Heumilch natürlich ein tolles Ausgangsprodukt.
Die Milch macht’s.
„Am Geruch des Käsebruchs, der Farbe der Molke und den Eigenschaften bei der Verarbeitung erkenne ich Milch aus Massenproduktion beim handwerklich Käsen meist sofort“, erläutert Johannes. Darum arbeitet er vor allem mit der Milch von Bio-Bauern, deren Höfe er persönlich kennt. Und heute darf bei Lingenhel auch die Heumilch g.t.S. in die Käsemanufaktur.
Übrigens verkauft Johannes seinen handwerklich hergestellten Frischkäse jeweils genau einen Tag lang in seinem Laden – und stellt dann neuen her. Er erklärt, dass der Sinn von Frischkäse eben genau diese Frische ist. Maximal zwei Tage lang schmeckt sein Frischkäse genau so, wie Johannes es möchte. Danach ist er natürlich auch noch bedenkenlos haltbar und genießbar – aber wie bei jedem lebenden Produkt verändern sich Geschmack und Konsistenz mit der Zeit.
Vom „einfachen“ Frischkäse zum sterneverdächtigen Teller
Jetzt bin ich aber wirklich maximal gespannt auf unseren Frischkäse! Direkt aus der Form wird der Frischkäse auf einem Teller angerichtet, wie man ihn auch vorn im Ladenlokal essen könnte. Er kommt mit dunklem Nussmus, Nashibirnen-Gel, Tomaten-Essenz, Parmesan-Crumble und Erbsenkresse. Schon optisch ist das ganze ein Traum! Aber als ich den Heumilch-Käse dann zunächst pur probiere, haut mich der Geschmack fast aus den Socken. Noch nie habe ich so einen cremigen, samtigen und aromatischen Frischkäse probiert.Es ist fast unglaublich, dass es sich hier nur um pure Milch handelt. Neben der sehr angenehmen frischen Säure schmecke ich würzige Kräuter und einen Hauch Gras oder Heu. Ich bin entzückt. Und im Zusammenspiel mit den anderen Komponenten auf dem Teller ist das ganze einfach fantastisch. Vermutlich mache ich ziemlich laut verzückte Geräusche, denn Johannes muss schmunzeln und sagt: „Das ist die Milch.“ Davon bin ich spätestes jetzt absolut überzeugt.
Eigentlich bin ich nun total happy und könnte den restlichen Tag am langen Holztisch sitzen, Frischkäse naschen, ein Gläschen Wein trinken und mit Johannes über die Themen plaudern, die uns beide sehr interessieren: Tierhaltung, Michqualität, Käse, schöne Teller und fantastische Lebensmittel.. Aber wir haben noch viel vor. Es geht an den großen Bottich.
Jetzt wird es spannend: Mein erster selbstgemachter Camembert aus Heumilch g.t.S.
200 Liter Heumilch passen in den Bottich aus Stahl, den Johannes in seiner Manufaktur zum Käsen angeschafft hat. Mir erscheint das Teil schon recht imposant – im Vergleich zur Käseproduktion im großen Maßstab ist das aber eher ein unbedeutender Winzling. Denn aus 650 Liter Kuhmilch wird eine Laib Käse von ungefähr 50 kg. Man kann sich also vorstellen, welch ungeheure Mengen Milch und welche Bottich-Größen für die Herstellung von handelsüblichem Käse nötig sind.
Wir stellen heute einen Camenbert her, der nur eine verhältnismäßig kurze Reifezeit von wenigen Wochen benötigt. Johannes hat dafür unseren handlichen Käsebottich vorbereitet: Die frische Heumilch g.t.S. wurde sanft bei etwas über 70 Grad pasteurisiert, damit der Käse später nicht durch unerwünschte Bakterien verdorben werden kann. Im Moment wird sie wieder von dem integrierten Kühlsystem auf 34 Grad gebracht.
Während wir noch warten, geht die Tür auf und Robert Paget kommt hereinspaziert. Robert hat einen kleinen Bauernhof mit Büffel und Ziegen und betreibt ebenfalls eine eigene Hofkäserei. Und er ist Johannes liebster sein Käse-Compagnon. Die beiden teilen die Käse-Leidenschaft und haben zusammen schon viele Stunden in ihren jeweiligen Manufakturen verbracht und Rezepturen ausgetüftelt. Jetzt werden wir also zu dritt am Camembert arbeiten.
Vom Käse-Wundermittel Lab, Enzyme aus Kälbermägen und vegetarische Alternativen
Als die Milch exakt die angestrebte Temperatur erreicht hat, gießt Robert das aufgelöste Lab in den Bottich und rührt sorgfältig um. Und dann heißt es wieder warten. Die Zeit nutzen wir für einen kleinen Plausch über Lab. Das ist ein Sammelbegriff für enzymhaltige Stoffe, die die Milchbestandteile aufspalten und für einen Ausfall (eine Verbindung) des Milcheiweißes sorgen. Ohne Lab gäbe es also keinen Käse.
Meistens denkt man bei Lab an die aus Kälbermägen gewonnene Enzyme, die schon in winzigen Mengen das Käsen ermöglichen. Robert erzählt, dass Senner auf Almen früher einen getrockneten Kalbsmagen einmal kurz durch einen großen Bottich mit Milch gezogen haben. Danach hängten sie den Magen wieder zum Trocken auf, bis er erneut gebraucht wurde. Ein Magen reichte so jahrelang für die Käseproduktion.
Dazu gib es aber auch zahlreiche, teilweise sogar sehr alte und traditionsreiche vegetarische Alternativen. Lab kann auch aus Pflanzen hergestellt werden: Papaya, der Saft des Feigenbaumes, Ananas, Distelpflanzen oder das englische Labkraut Galium verum sind beispielsweise vegetarische Lieferanten der benötigen Enzyme. Und heute verwenden wir tatsächlich ein vegetarisches Lab.
Käse oder nicht Käse? Milch, Lab und Temperatur sind hier die Frage
Lab kann also ganz unterschiedlich zusammengesetzt sein – und auch unterschiedlich auf Milchqualitäten und Temperaturen reagieren. Daher ist es beim handwerklichen Käsen entscheidend, eine bestmögliche Milchqualität einzusetzen und die Milch möglichst genau zu temperieren. Enthält die Milch Medikamentenrückstände, hat das unter Umständen negative Auswirkungen auf die Arbeit der Enzyme. Ist die Milch zu kalt, kann der Prozess des Käsens nicht ordentlich anlaufen. Ist sie zu heiß, sterben die Bakterien oder die Enzyme funktionieren nicht. Nur wenn alles stimmt, trennt sich sie Milch in ihre Bestandteile und festerer Käsebruch und flüssige Molke entstehen.
Johannes und Robert stehen jetzt am Bottich und kontrollieren ständig äußerst aufmerksam Farbe und Geruch der mit Lab versetzten Heumilch g.t.S.. Bereits in diesem frühen Stadium würde sich zeigen, ob ein Fehler beim Käsen eingetreten ist. Ich merke wie konzentriert die beiden sind – wird alles klappen? Immerhin käsen sie heute zum ersten Mal mit der Heumilch g.t.S.
Nur net hudln!
Angespannte Minuten vergehen. Dann kommt die Entwarnung: Farbe und Geruch des Käsebruchs sind optimal! Johannes schneidet die inzwischen recht feste Masse mit einem riesigen Werkzeug in unzählige kleine Würfelchen. Dadurch kann die Molke austreten und der Käsebruch verfestigt sich immer mehr zur Käse-Rohmasse. Auch jetzt überwachen Johannes und Robert ständig den Prozess. Im Idealfall ist die austretende Molke klar, zartgelb und mit einem kleinen grünen Schimmer. Würde sie milchig oder gar ganz trüb werden, müsste das Käsen im schlimmsten Fall sogar abgebrochen und der Käsebruch entsorgt werden. Aber alles läuft perfekt!
Käse-Yoga: Im Bottich wartet die Erleuchtung
Der Käsebruch muss während des Reifens ununterbrochen bewegt werden, damit sich die kleinen Würfel nicht zu großen Klumpen zusammensetzen, was letztendlich die Reifung beeinträchtigen könnte. Ganz ohne Worte arbeiten Johannes und Robert dabei so harmonisch und konzentriert zusammen, dass der ganze Raum plötzlich eine unglaublich entspannte Atmosphäre bekommt. Während der eine mit kräftiger Armarbeit den Käsebruch bis in die Tiefen des Bottichs umschichtet, zerteilt der andere von Hand größere Bruchstücke in die kleine Würfelform. Die immer gleichen, ruhigen Bewegungen haben eindeutig etwas von Mediation. Der Käsebruch duftet angenehm frisch und säuerlich. Ich merke, wie ich mich total entspannte. Aber es kommt noch besser: Ich darf auch an den Bottich!
Mit zuvor sorgfältig geschrubbten Händen und Armen tauche ich behutsam in den warmen Käsebruch. Und rühre. Rühre. Und rühre. Mit meinen Armen. Das ganze ist ein wahnsinnig schönes Gefühl und ich merke, wie sich dabei eine große Ruhe in meinem Inneren ausbreitet. Die bewussten Bewegungen sind wie eine Meditation oder Yoga. Es macht glücklich, direkten Kontakt mit dem Produkt zu haben, mit ihm zu arbeiten und ganz unmittelbar zu spüren, wie es sich entwickelt. Ein leicht irres Grinsen stielt sich auf mein Gesicht. „Siehst du“, sagt Johannes, der mir amüsiert bei Käsen zuschaut. „Das macht was mit deinem Inneren – ich habe es dir ja gesagt.“ Jetzt weiß ich auch ganz genau, was er damit gemeint hat. Und warum er sich unbedingt eine Stadtkäserei mitten in Wien einrichten musste. Nach diesem Gefühl kann man süchtig werden.
Auf der Zielgeraden mit Förmchen, Salz und wieder ganz viel Geduld.
Während ich weiterhin glücklich meine Arme im Bottich bewege, bereitet Johannes die Formen vor, in die der Käsebruch dann schwungvoll gegossen wird. Noch sind die einzelnen Käse sehr hoch. Aber mit der Zeit tropft immer mehr Molke ab und der Käseteig wird dichter. Nach angemessener Ruhezeit werden die noch recht körnigen Camemberts ausgelöst und müssen über Nacht noch einmal vollständig abtropfen.
Am nächsten Morgen haben die Camemberts dann ihre endgültige flache und runde Form angenommen. Bevor sie aber in die gekühlte Reifekammern dürfen und mit einem Edelschimmel geimpft werden, kümmern wir uns noch einmal aufwendig um unsere kleinen Lieblinge: Die rohen Käse werde sorgfältig rundum von Hand eingesalzen. Das Salz wirkt wie eine antibakterielle Schutzschicht, die verhindert, dass sich unerwünschte Keime auf den empfindlichen Rohlingen ansiedeln. Auch dieser letzte Arbeitsschritt beim Käsen muss also mit großer Sorgfalt ausgeführt werden, damit der Käse nicht doch auf den letzten Metern verdirbt.
Habe die Ehre, Lieblings-Camembert!
Ein bisschen geschafft aber überaus zufrieden schauen Johannes und ich auf unser Werk: Über 80 große und kleine Camemberts liegen fertig eingesalzen vor uns. Jetzt muss ich unseren kleinen „Babies“ erst einmal Tschüss sagen. Denn bis aus ihnen in Johannes Reifekammer erwachsene Heumilch-g.t.S.-Camemberts mit dem typischen Edelschimmel geworden sind, werden noch ungefähr 6-7 Wochen vergehen. Johannes verspricht mir, ein Care-Paket zu schnüren, wenn sie fertig sind. Und ich freu mich schon wahnsinnig darauf, wenn ich meinen Lieben zu Hause meinen ersten eigenen Käse präsentieren kann! Ich halte euch auf dem Laufenden.
Und bis dahin probieren wir einfach noch ein paar von Lingenhels ausgezeichneten Käsespezialitäten mit hausgemachtem Weingartenpfirsich-Chutney. Mit einem zwei drei Weinchen. Läuft.
Liebe AMA, lieber Johannes und Robert, liebe Julia – vielen Dank für die tolle Erfahrung in der Käsemanufaktur und in Wien. Meinen ersten Heumilch-Käse werde ich garantiert nie mehr vergessen!
Was für eine spannende Erfahrung, toll. Ich liebe Käse, wenn auch nur recht milden. Dafür aber alle Arten. Da wäre ich gerne dabei gewesen. Und wer kann schon von sich behaupten, innere Ruhe durch das Käsen gefunden zu haben, gg! Danke für den schönen Bericht! LG und einen schönen 2. Advent! Haydee
Toller Beitrag ! Käse ist sowieso mein Favorit. Egal ob aufs Brot oder einfach alles damit überbacken :D lecker, lecker. Würde auch mal gerne Käse selber machen. Ist bestimmt ein interessantes Erlebnis. Auf Dauer ist das bestimmt sehr anstrengend nicht wahr?
Sehr spannend und toller Beitrag !