Eine einmalige Verbindung: Indien trifft China und ich den Teekenner bei Teekanne

8:40 Uhr im IC auf dem Weg von Hamburg nach Düsseldorf. Vor dem Fenster tobt ein Unwetter, das mal wieder halb Hamburg verkehrstechnisch lahmgelegt hat. Nach dem horizontalen Regen da draußen kommt mir jetzt selbst das kalte, abgewohnte Zugabteil wie eine kuschelige Zuflucht vor. Und der Zug fährt. Immerhin. Ungewöhnlich. Gott sei Dank.

Ich bin nämlich für meine Agentur TBWA\ zu einem wichtigen Termin unterwegs. Genauer gesagt zu unserem Kunden Teekanne, der aber eigentlich gar nicht von mir betreut wird. Auch habe ich keine Präsentation für eine neue Kampagne im Gepäck oder fahre zu einem Briefing – heute ist tatsächlich alles ganz anders. Es geht um ein Projekt, das in den letzten Wochen einige Leute ordentlich auf Trab gehalten hat: Es wurde viel überlegt, unzählige E-Mails gingen hin und her, kleine, geheimnisvolle Päckchen wurden verschickt, Heißgetränke aufgebrüht und probiert, Köpfe wurden nachdenklich gewiegt, eine Vorauswahl getroffen und wieder verworfen, der CEO gefragt und gemeetet. Dabei haben Persönliche Assistentinnen mit bewundernswertem Gleichmut alle Fäden zusammen gehalten.

All das ist in der besonderen TBWA\-Tradition passiert, jedes Jahr in Zusammenarbeit mit einem Kunden eine ganz einmalige Weihnachtsüberraschung für die Menschen zu entwickeln, die uns wichtig sind. Ein Geschenk, das es so noch nicht gibt und das sich so nirgendwo käuflich erwerben lässt. Dieses Jahr machen wir in Tee und haben uns als Ziel gesetzt, eine ganz besondere Tee-Kreation zu erfinden.

Apropos Überraschung: Die größte Überraschung war für mich, dass ich gebeten wurde, bei diesem Projekt mitzumachen. Die meisten Kollegen wissen ja, dass ich sehr gern koche, über Essen und entsprechende Themen schreibe – aber ganz ehrlich: Tee zählte bis jetzt definitiv nicht zu meinen Kernkompetenzen. Ich koche ja nur ab und zu lecker, ne. Über Weißwein weiß ich auch das eine oder andere. Und jetzt soll ich einen absoluten Kenner, einen Tea Taster, treffen und mit ihm über Spitzentees sprechen? Oha. Aber hey … das klingt spannend: ein neues Themenfeld, das ich erobern (und über das ich schreiben) kann. Auf geht´s.

Wenn die (neuen) Medien auf eine traditionsreiche (Tee)Kultur treffen, muss man sich erst mal ein bißchen einspielen. Ohne ein Basis-Know-how geht da nix. Zum Beispiel muss man erst einmal wissen, dass Weißer Tee gar nicht weiß ist. Schade, würde ansonsten ja ganz toll zu White Christmas passen. Meine Kollegen vom Teekanne-Team rollen jetzt wahrscheinlich gerade mit dem Augen – so etwas weiß man doch einfach. Ich wusste es nicht, aber ich habe es gelernt. Und wir haben einen tollen, ungewöhnlichen Tee hingekriegt. Einen wirklich guten.

*Tusch*

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie jetzt unseren

TBWA\-Weihnachtstee
Limited Edition 2011 – India & China

Ein ungewöhnliche Kombination aus einem “Jahrgangstee” Darjeeling First Flush Phuguri und einem echten White Tea Pai Mu Tan, dem ursprünglichen Weißen Tee aus Fujian.

Danke für den Applaus! Aber sehe ich da auch ein paar enttäuschte Blicke? Dieser Tee sieht irgendwie aus wie … Tee?! Keine bunten Blüten weit und breit zu sehen … duftet er dafür wenigstens nach Zimt oder Schokolade? Ein entschiedenes „Nein!”. Warum dieser pure Tee trotzdem (oder viel mehr genau deswegen) etwas ganz besonderes ist, finden wir jetzt gemeinsam heraus:

Der Darjeeling ist ganz bewusst zum idealen Zeitpunkt ohne Rücksicht auf einen maximale Ertrag sortenrein geflückt worden. Der Weiße Tee stammt von den Original-Teepflanzen, die nur in einer Provinz Chinas wachsen und ist sehr selten sowie von  erstklassiger Qualität. (Eine Sorte, bei der Tee-Liebhaber sofort so ein gewisses Leuchten im Blick haben.) Beide Tees sind recht grob und ergeben so schon im trockenen Zustand eine äußerst harmonsiche Verbindung.

Für die finale Verkostung darf ich nun im Teekanne Mutterhaus in Düsseldorf das “Allerheiligste”, den Arbeitsplatz von Senior Tea Taster Jörg Sakulowski, betreten. Wir durchqueren ein paar lange Flure und stehen dann auf einmal in einem Raum, bei dem mir unwillkürlich die altertümliche Bezeichnung „Kontor“ in den Kopf schießt. Neben zwei schlichten Holzschreibtischen mit Computer-Bildschirmen, finden sich Regale voller beschrifteter Teedosen, große Wagen mit kleinen weißen Teeschalen, mehrere große kupferne Becken, ein sich über die ganze Raumseite ziehender Metalltisch mit Schälchen voller Tee, Unmengen kleiner Näpfchen und eine Armee von Schildchen artig in Reih und Glied. Mit weht eine große Portion Tee-Magie entgegen – hier bestimmt der Tee über alles. Und Jörg Sakulowski bestimmt als Senior Tee Taster über den Tee.

Ich gehe begeistert an dem langen Tisch mit den unzähligen Tees entlang und lese die Schildchen. Unter alle den fremden Namen und Kürzeln entdecke ich auch ein Schälchen mit der Aufschrift „TBWA Weihnachtstee“ – ich fühle mich spontan ein bißchen geehrt.

Bevor wir uns aber gleich der fachgerechten und alles entscheidenden Degustation des Weihnachtstees widmen, gibt es erst einmal einen kleinen Crash-Kurs in Teekunde mit ein paar hilfreichen Teeweisheiten. (Teeprofis lesen einfach direkt unten weiter.)

Herkunftsländer
China, Indien, Sri Lanka und Taiwan zählen zu den klassischen Teeanbaugebiete der Welt. Auch Afrika zählt zu den Tee produzierenden Nationen. Dass aber in Argentinien viel Tee angebaut und hauptsächlich in die USA exportiert wird, hat mich persönlich sehr überrascht.

Alle meine Farben
Grüner Tee verändert durch einen Fermentationsprozess Farbe und Geschmack und wird zu Schwarzem Tee. Weißer Tee hat dagegen seinen Namen von dem seltenen Teebusch, der an der Unterseite der Blätter ganz feine, weiße Härchen hat. Der fertige Weiße Tee unterscheidet sich farblich nicht von seinem grünen Verwandten. Auch wenn heute inzwischen unterschiedliche Sorten von weißem Tee gezüchtet werden, um der weltweiten Nachfrage zu begegnen, war er vor noch nicht allzulanger Zeit lediglich auf eine sehr seltene Teebuschart beschränkt, die demenstprechend kostbar ist. Gelber Tee ist eine länger nicht weiterverarbeitete Variante des Grünen Tees.

Teeverarbeitung
Nach der sorgfältigen Pflückung wird der Tee getrocknet, gewalzt, fermentiert (beim Schwarzen Tee) und zum Schluss erhitzt, um den Fermentierungsprozess zu stoppen. Bei der Pflückung unterscheidet man in First Flush (nur die Teeknopse und die ersten beiden zarten Blätter in erster Ernte), Second Flush (die zweite Ernte) und Teeblättern von der gesamten Teepflanze.

Grob, mittel, fein – was darf´s denn sein?
Tees werden genau so weiterverarbeitet, wir sie aus der Produktion der Teegärten kommen. Grober, besonders voluminöser Tee wird z.B. nicht nachträglich zerkleinert, um besser in eine genormte Verpackung oder zu einer Teekomposition zu passen. Teeblätter werden bei der Herstellung einheitlich gewalzt, eventuell wird der Druck variiert. Es liegt dann am Tee selbst, in welche Bestandteile er zerfällt. Es entstehen immer grobe, mittlere und feinere Qualitäten, die später entsprechend durch Sieben getrennt werden.

Daher kann man sich jetzt auch direkt von einem Tee-Vorurteil verabschieden: Der grobe Tee ist nicht automatisch von besserer Qualität. Die feinen Krümel in den Teebeuteln sind nicht weniger wertvoll. Alle Feinheitsgrade stammen von den gleichen Teeblättern. Der Grobe macht in der Regel nur 20% des Arbeitsertrags aus. Der Feine erzielt aber häufig sogar ein stärkeres Aroma beim Aufbrühen.

Lose, im Beutelchen oder im stylischen Pyramidenpack? Egal – Hauptsache weiches Wasser!
Weder die Teebeutelform noch das Material sind ausschlaggebend für das Geschmacksergebnis. Viel entscheidender ist  dagegen der Härtegrad des Wassers. Zu hartes Wasser hat einen ungünstigen Einfluss auf die Gerbsäuren im Tee und sorgt auch z.B. dafür, dass sich nach einiger Zeit ein öliger Film in der Tasse bildet. Das ist dieser lästige Film, der sich auch im Geschirrspüler nur ganz schwer wieder entfernen lässt. Also: Weiches Wasser muss her! Mineralwasser ohne Kohlensäure vermischt mit Leitungswasser in einem Verhältnis von 50:50 ist die ideale Kombination, um zu Hause ein sehr gutes Ergebnis zu erzielen.

100 Grad – und kein My weniger
Jeder Tee sollte grundsätzlich mit kochendem Wasser bei 100 Grad aufgebrüht werden. Häufig wird ja empfohlen, Grünen Tee mit nicht mehr kochendem Wasser aufzubrühen. Kälteres Wasser lässt die Gerbsäuren zwar nicht so deutlich in Erscheinung treten, holt aber auch nicht das Beste an Wohlgeschmack heraus. 100 Grad heißes Wasser sorgt außerdem dafür, dass der Tee als Lebensmittel sehr sicher wird. Da hat kein Keim eine Überlebenschance.

So, und jetzt ist der große Moment da. Gleich werden wir unseren Weihnachtstee ordnungsgemäß verkosten.

Um eine valide Vergleichsmöglichkeit zu haben, werden alle Teeproben nach einem genau eingehaltenen Prozedere aufgebrüht: 3 g exakt abgemessener Tee werden mit einem besonders weichen, 100 Grad heißen Wasser überbrüht und ziehen genau 5 Minuten. Dann wird der Tee in eine Schale abgegossen.

Dabei ist die Optik und Haptik des trockenen Tees genau so wichtig, wie die Beschaffenheit des überbrühten und Farbe und Geschmack des gezogenen Tees in der Schale. Alle drei Darreichungsformen werden begutachtet und bewertet.

Das macht Jörg Sakulowski als Tea Taster übrigens jeden einzelnen Morgen. Pünktlich zum Arbeitsbeginn stehen die Teeproben aus der laufenden Produktion zur Verkostung bereit. Sollte eine der Geschmackskompositionen von dem erwünschten Ergebnis abweichen, würde er das sofort feststellen und die Teemischung in der Fertigung nach seinen Vorgaben korrigiert werden. Auch bevor Tee für die laufende Produktion eingekauft wird, werden die Teeproben von den Plantagen gegeneinander verglichen und nach Ihrer Qualität und ihrem Potenzial für eine Komposition eingestuft. Erst dann wird der Tee eingekauft.

Wir schreiten zur Tat: Jörg Sakulowski zieht eine braune wasserdichte Schürze an in der er auf einmal sehr amtlich wirkt, nimmt einen Löffel in die Hand – und dann geht es los: Er taucht den Löffel in eine Schale mit fertig gezogenem Tee, führt diesen zum Mund, schlürft, zutzelt, gurgelt den Tee im Mund herum und spuckt ihn dann zielsicher in eines der bereitstehenden Kupferbecken. Dann folgt die nächste Schale, Löffel eintauchen, schlürfen, gurgeln, spucken fertig. Das ganze geht in so blitzartiger Geschwindigkeit von statten, dass ich kaum mit dem Blick folgen kann. Mit bleibt kurz der Mund offen stehen, dann muss an die legendäre Schlürfszene bei Loriot denken: „Sie müssen es UNTER die Zunge bekommen”. Ich bin ebenso amüsiert wie verblüfft und erkundige mich, ob denn die extrem kurze Zeit im Mund wirklich ausreicht, um die Qualität eines Tees beurteilen zu können.

Mich trifft ein verschmitzer Blick: „Natürlich, wenn man gut ist und das seit 25 Jahren macht.” Ich habe keinen Zweifel. „Das muss auch so schnell gehen. Die optimale Trinktemperatur liegt zwischen 50 und 60 Grad – und manchmal haben wir hier 150 Schalen zum Verkosten stehen.”

Herr Sakulowski hat übrigens noch zwei Kollegen. Wenn ein Tea Taster nämlich mal einen Schnupfen hat, hat sich das mit dem Probieren direkt erledigt. Auch scharfe oder besonders aromatische Speisen sind für einen Tea Taster während der Arbeitswoche verboten und nur am Wochenende erlaubt – der Geschmack würde einfach zu sehr darunter leider und das Ergebnis beeinflusst werden. Ich glaube, das wäre nichts für mich. ICH! LIEBE! CHILI!

Das Aufgussset ist übrigens auch genormt, besteht aus sehr hübschen weißen Porzellan und wird eigens für die Teeverkostung hergestellt. Ganz kurz überlege ich, ob ich eines in meiner Handtasche nach draußen schmuggeln kann – aber dann siegt doch meine gute Kinderstube.

Das Aroma und die Qualität unseres Tees gefällt Jörg Sakulowski sehr gut. Ich bin erleichert! Dann verzichte ich auf die Pozedur mit dem Löffel (weil ich mich bestimmt von oben bis unten bekleckern würde) und greife lieber zum klassischen Täßchen. Zart … wunderbar … aromatisch … nur ein klitzekleines Bißchen Bitterness ganz zum Schluss.

Mission completed! Jetzt können wir das Go für das Abfüllen und Verpacken des Tees geben. 150 handverlesene Döschen machen sich auf den Weg, um pünktlich zu Weihnachten hoffentlich eine kleine, besondere Freude zu verbreiten.

Frohe Weihnachten und viel Spaß bei der eigenen Tee-Entdeckungsreise!