{Bloggerinterna} Blogfrust, Bloggerschwemme, Bloggen für Geld, alles nur gekauft … Ach, Blogosphäre – was soll nur aus dir werden?

GourmetGuerilla_KuechenfliesenNein, nein, nein. Ich wollte mich in diese Diskussion überhaupt niemals nicht einbringen. Nicht mein Ding. Wohin soll das auch führen, ne. Trotzdem sitze ich jetzt hier am Sonntagmorgen und tippe. Schuld ist Facebook. Da wurde mir nämlich heute morgen ein weiterer dieser Artikel in den Stream gespült, die sich irgendwie nicht so richtig über all das freuen können, was da draussen in den Weiten der Blogosphäre passiert. Und jetzt muss ich halt doch auch mal was dazu sagen.

Es ist für den einen oder anderen vielleicht verblüffend, aber Blogger beschäftigen sich entsetzlich gern mit sich. Und anderen Blogs. Und anderen Bloggern. Das alles zusammen heisst dann recht schmuck Blogosphäre. Und in der passieren Dinge.

Leider scheinen einige dieser Dinge aber ganz vielen Leute eben nicht mehr so richtig zu gefallen. Häufig wird davon berichtet, dass man in letzter Zeit Tendenzen wahrgenommen hat. Zum Beispiel die Tendenz zu zu vielen, neuen Blogs. Die Tendenz zu sehr professionellen Blogs. Die Tendenz zu vermarkteten Blogs. Die Tendenz zu Bloggern, die Geld mit ihrem Blog verdienen können und – bewahre! – wollen. Die Tendenz zu schöneren Fotos, professionellen Layouts, zu Heile-Welt-Texten, zu großen Kooperationen, zu vielen Gewinnspielen, zu vielen ungekennzeichneten Kooperationen und Sponsored Posts (mit Geld oder Sachleistung unterstützte Posts) selbst bei großen Bloggern. Aber auch die Tendenz zu Posts, die nicht mehr so richtig „aus dem Herzen” geschrieben werden. Es kommt sogar recht häufig der Verdacht auf, dass Blogger gar keine richtigen Blogger mehr sind. Also so richtige Blogger, wie es sie früher einmal gab in den Anfängen des Bloggens. Solche Leute, die ohne Rücksicht auf eine Öffentlichkeit und in der Anonymität des Internets ohne Impressumspflicht aus ihrer Seele für unsere Seelen geschrieben haben. Einfach nur so, ohne Hintergedanken, ohne Sponsor, ohne schönes Layout und wahrscheinlich noch mit bernsteinfarbener Schrift auf dem Bildschirmen (Displays hießen die Dinger ja erst später). Stattdessen gibt es nun Workshops für Blogger, Fortbildungen, Fotokurse – ach, Blogger schreiben sogar Bücher. Alles sei so unübersichtlich im Internet geworden und man würde gar nicht mehr wissen, in welchen Blog man als Leser (sic!) seine Zeit investieren solle. Hinterher wäre er eventuell ja sogar kommerziell. Sodom und Gomorra.

In den Kommentaren unter den erwähnten Artikeln finden sich meist auch ganz viele andere Blogger und Blogleser, die diese Befürchtungen teilen und die Blogosphäre mit gemischten Gefühlen betrachten: und zwar von Argwohn bis Sorge. Der Tenor ist meist klar: Man hat entweder aufgrund dieser Entwicklungen selbst keine Lust mehr zu bloggen oder mag Bloggern auch gar nicht mehr folgen.

In der Folge setzen Blogger unter ihre Artikel gern einmal panisch deutliche Hinweise, dass ein Post GANZ EHRLICH NICHT GESPONSERT ist, getrieben von anderen Bloggern und der Angst, der werte Leser könnte auf falsche Gedanken kommen, der Post, der Blog, die ganze Person wäre ja nur gekauft. Von wem auch immer. Und am Ende denkt das dann womöglich auch noch google. Warum und wie auch immer.

Blogger selbst verlangen sogar hartnäckig nach Statuten, Regeln und Kodizes, denen sie sich „unterwerfen” können, um mit in der Sidebar geführten Siegeln der Öffentlichkeit ihre Rechtschaffenheit offensiv und vorbeugend zu demonstrieren.

Das ganze liest sich schrecklich und hin und wieder hat man das Gefühl, dass der Untergang des Blogger-Abendlandes nur sehr knapp bevorsteht.

Nun.

Leider wird der allgemeine Blick von zwei Phänomenen getrübt, die das Glas der Blogosphäre eher halbleer, als halbvoll erscheinen lassen:

Das erste Phänomen ist so alt wie das Internet an sich … ach, was sag ich … eigentlich hatten Adam und Eva damit auch schon richtig schwer zu kämpfen: Veränderung. Wenn man sich mal an einen Status quo gewöhnt und sich darin schön muckelig eingerichtet hat, ist alles, was diese Situation ändert, erstmal doof. Wir wollen, dass Dinge so bleiben, wie sie sind. Wie wir etwas kennen, ist es gut. Umstände, die eine bekannte Situation ändern, sind verunsichernd und bedrohen unsere Muckeligkeit. Wenn da nicht die Neugier und der angeborene Spieltrieb wären, die uns hin und wieder voran schubsen, würden wir vermutlich immer noch in Höhlen an unserem rohen Fleisch nagen. Oder Mobiltelefone in der Größe eines Überseekoffers mit uns rumschleppen.

Das zweite Phänomen ist ein historisch-kulturelles. Ich glaube, man kann es sogar ganz wunderbar in einem Wort zusammen fassen: Deutsch. Die Deutschen mögen Dinge, die aus freien Stücken, mit harter Arbeit und in Demut getan werden. So lange jemand etwas umsonst tut und dies bescheiden mit anderen teilt, sind wir geneigt, die Leistung, den Urheber und vor allem seine Glaubwürdigkeit hoch zu schätzen. Die Demut ist dabei ein unbedingt nicht zu vernachlässigender Faktor. Wehe, jemand erzählt von seinem Erfolg, von seinem Verdienst, von seinem Spaß an den Dingen, die er tut. Da sieht die Sache schon ganz anders aus. Vor allem der Verdienst ist etwas, das man niemals zum Thema macht. Besser ist das. Denn wenn man Geld oder eine andere Zuwendung für die Leistung erhält, wird diese in der Wahrnehmung der anderen geschmälert, herabgewürdigt, gar unglaubwürdig und zweifelhaft. Diese Haltung und ein gewisser Sozialneid unterscheidet uns deutlich von anderen Nationen.

In Amerika und anderen Ländern würde man geradezu für verrückt erklärt, wenn man eine Sache gut kann, hart dafür arbeitet, Spaß daran hat, Geld mit ihr verdient – und diesen wunderbaren Umstand nicht auch seinen Mitmenschen mitteilte. Du kannst etwas und verdienst damit Geld? Großartig, herzlichen Glückwunsch! Du bist ein Blogger, hast viele Leser, kannst toll fotografieren und hast jetzt ein Buch geschrieben? Super! Endlich bekommst Du Geld für Deine Leistung.

Nur in Deutschland fühlen wir uns verraten, verkauft und persönlich enttäuscht, wenn wir feststellen, dass jemand nicht einfach nur aus Spaß an der Freude für unsere Seelen und zu unserer Unterhaltung schreibt oder bloggt. Wie schade.

Ich finde, jetzt schauen wir uns aber auch noch schnell die vielen positiven Aspekte an, die die Veränderungen der Blogosphäre mit sich bringen. Die Sorge um den Niedergang von Blogs kann ich nämlich nicht teilen. Im Gegenteil! –  wir haben sogar ganz, ganz viel Anlass zur Freude:

Ist es nicht wunderbar, dass immer mehr Menschen Blogs als Medium für sich entdecken? Jeder kann eine Stimme im Internet haben und die Dinge sagen und schreiben, die er will. Nie war die Blogosphäre so bunt und vielfältig wie jetzt. Jeder Blog ist ein kleines Start-Up, das mit viel Arbeit, Geduld, Engagement und Herzblut betrieben werden muss. Egal, ob man für sich, für andere, für Spaß, für Geld oder für Anerkennung schreibt. Oder vielleicht für alles zusammen?

Ist es nicht bemerkenswert, wie viele Menschen zusätzlich zu ihrem ganz normalen, stressigen Leben Zeit, Energie und Kreativität für einen Blog aufbringen? Was für ein großartiges gesellschaftliches Potenzial!

Ist es nicht spannend, dass sich dort ganz neue Beschäftigungsfelder und Berufskategorien eröffnen – selbst für Menschen, die nicht 45 Stunden in der Woche an einem Arbeitsplatz erscheinen können oder wollen? By the way: Blogger, die etwas verdienen, zahlen auch Steuern und tun damit etwas für die Gemeinschaft. Oder für eine neue Asphaltdecke auf der Autobahn.

Ist es nicht interessant zu verfolgen, wie die Medienlandschaft sich – auch durch Blogger – mehr und mehr verändert?

Das Internet ist der spannendste Spielplatz, den wir haben. Nirgendwo kann man so viel ausprobieren und auf keinem anderen Feld gibt es so viele und schnelle Neuerungen wir hier. Anstatt diese Veränderung zu betrauern, sollten wir uns freuen, dass so viele Menschen mit dem Medium Blog umgehen und die Freiheit und Energie haben, es mitgestalten, es vorantreiben. Das Jammern über unterschiedlichste Motivationen, unüberschaubare Vielfältigkeit, fehlenden Leitplanken und Raster innerhalb der Blogosphäre erscheint da hin und wieder etwas rückwärts gerichtet und kleingeistig.

Wir sind in einem sehr spannenden Prozess und ich bin total neugierig, wohin er uns führen wird. Und: Ich bin super gern ein winzigkleines beitragendes My in diesem riesigen Strom. So, jetzt geht es mir irgendwie besser.

Alles wird gut!

Info: Dieser Post ist aus dem Herzen geschrieben und EHRLICH TOTAL NIE NICHT GESPONSERT.