Currywurstgate Shutterstock | GourmetGuerilla.de

{Kolumne} Currygate. Oder: Von Imbissperlen, Würsten und Würde.

Samstagnachmittag in der Hamburger Innenstadt – die Kleinfamilie hat sich unerschrocken zum Einkaufsbummel aufgemacht. Tatsächlich läuft alles sehr erfreulich, das Kind ist guter Laune und treibt uns zur Abwechslung nicht in den Wahnsinn. Allerdings gab es am Morgen bereits eine Gefährderansprache wegen akuter Übellaunigkeit und beleidigendem Tonfall gegenüber den Erziehungsberechtigten. Das Kind scheint sich da ein bis zwei Dinge gemerkt zu haben und zeigt sich im Moment sozial verträglich. Muss ja auch mal, ne.

Beladen mit Tüten kämpfen wir uns durch Straßengaukler, Demonstranten und Touristen, die unerbittlich in 5er-Ketten nebeneinander die Fußgängerzone durchpflügen. Das zehrt dann doch eine Kleinigkeit an den Nerven und wir bekommen Hunger. Schnell gehen wir die überschaubaren und bezahlbaren Möglichkeiten durch, die sich in der Hamburger Innenstadt so bieten: Wir verwerfen Daniel W.s Fisch-Schnellrestaurant ebenso wie die Burgerkette mit den goldenen Bögen oder die auf Sicht garnierten (vorne alles, innen nix) Brötchen der üblichen Bäckereiketten. Und dann hat der Mann eine gute Idee: Etwas abseits vom Getümmel gibt es doch diesen bestimmten Currywurst-Laden, der auch schon auf der Schanze und in Ottensen laut foxy Slogan  „der Wurst ihre Würde zurückgibt”. Da gibt´s auf Wunsch auch Bio-Würste. Prima, die Kleinfamilie hat ein Ziel.

Glücklich über einen freien Tisch, fallen wir mit Kind und Tüten kurz darauf in den gestylten Imbiss ein, klettern auf die Barhocker und liebäugeln hungrig mit den Fotos auf der Leuchtanzeige über dem Tresen.

Dann fällt mein Blick einen Meter nach unten auf die junge Frau hinter dem Tresen – und ich habe gleich so eine gewisse Ahnung, dass das hier eine schwierige Sache werden könnte. Das zarte, blondgelockte Wesen bedient gerade die Kasse. Nein, sie versucht die Kasse zu bedienen und tippt mit zunehmender Heftigkeit erfolglos auf den verschiedenen Knöpfen herum. Dann sagt sie mit lieblicher, aber unüberhörbar Stimme diesen bestimmten Satz, den man eigentlich nie, nie, nie hören möchte: „Tut mir leid, ich bin hier nur die Aushilfe”. „Auweia, das arme Dingen”, denke ich und warte darauf, dass Rettung in Form einer Kollegin naht. Allerdings gibt es keine Rettung. Sie ist allein im Imbiss und an der Kasse. Keine Kollegin weit und breit.

„Hey,” wispere ich dem Mann zu, „Du musst jetzt stark bleiben.” Gemeinsam machen wir uns zur Theke auf, um die Bestellung aufzugeben. Was soll ich sagen. Wir geben die Bestellung glatte vier Mal auf und wiederholen verschiedene Teile langsam immer wieder, bevor wir das Gefühl haben, dass alles einigermaßen ordnungsgemäß angekommen ist. Currywurst-Pommes mit Astra, Bratwurst-Pommes mit Orangenlimo und das Wurst-Special mit Astra. Die Gelockte nickt und fragt dann: „Und was wollt Ihr dazu trinken?” Dabei ist sie sehr freundlich und reizend. Sie gibt sich offenbar richtig Mühe, den Job gut zu machen. Aber ihr fehlt jede Erfahrung. An Routine ist gar nicht zu denken.

Ich merke, wie der Mann nervös wird. Auf anstrengenden Service kann er gar nicht gut. Mit steiler Stirnfalte wiederholt er betont langsam und laut die Getränkewünsche und hebt dabei jedesmal eine Musterflasche aus dem Thekendisplay, um den Prozess visuell zu unterstützen. Ich lächele betont verbindlich in die Runde. Es wird höchste Zeit, dass wir uns wieder setzen.

Von unserem Tisch aus haben wir den perfekten Blick auf Friteuse und Grill. Mann und Kind sind vorteilhafterweise ganz mit dem Zusammenbau eines LEGO StarWars-Raumschiffes beschäftigt. So kann ich in aller Ruhe die Show geniessen:

Die Mitarbeiterin ist gerade damit beschäftigt, Pommes aus der Friteuse zu angeln und eine Currywurst mit Soße zu bestücken. Das klappt Gott sei Dank ohne größere Verbrennungen. Ich bin froh. Allerdings fällt ihr zweimal der Salzstreuer aus der Hand und kullert auf den Boden, als sie die Pommes würzen will. Hektisch überprüft sie immer wieder die Bestellung auf den vor ihr liegenden Bons. Inzwischen sind neue Gäste eingetroffen, die sich zur Schlange vor dem Tresen formieren. Auf dem Grill liegt ein Steak. Sonst nichts. Daneben steht eine bereits fertig angerichtet Currywurst.

„Hm”, denke ich. Sie beginnt einen Beilagensalat zusammenzustellen. Gurke aus dem Kühlschrank holen, drei Scheiben abschneiden, Gurke wieder in den Kühlschrank legen. Tomate aus dem Kühlschrank holen, Tomate vierteln, Tomate auf Teller legen. Behälter mit Mais aus dem Kühlschrank holen, 2 Esslöffel Mais auf einen Teller geben, Mais wieder in den Kühlschrank stellen. Ich bin fasziniert. Zwischen werdendem Salat und Kühlschrank legt sie jedes Mal glatte drei Meter zurück.

Die Schlange vor dem Tresen wird unruhig. Der Beilagensalat ist fertig und das Steak gesellt sich mit auf den Teller. „Currywurst-Pommes und Steak mit Salat” ruft die Gelockte in den Raum und schaut mich an, als hätte sie mich noch nie zuvor gesehen. Ich schüttele den Kopf. Drei Tische weiter erhebt sich ein sehr hungrig aussehendes Paar, um die Tabletts in Empfang zu nehmen. Ich wette, dass die Currywurst inzwischen erfrischend kühl ist. „Guten Appetit” wünscht die Imbissperle sehr herzlich, als das Paar mit den Tabletts an den Tisch zurückkehrt.

„Wenn sie jetzt nicht unsere Würste auf den Grill legt, gehe ich hin und mache das”, denke ich bei mir. Vielleicht gibt es sowas wie Gedankenübertragung – sie angelt im Kühlschrank und wirft drei Würste auf die heiße Platte. Gut, wir sind im Spiel.

Inzwischen warten gut 8 Mann vor der Theke. Auf dem Grill drei Würste. Das Paar mit Wurst und Steak erscheint in zweiter Reihe wieder an der Theke und fragt nach den Getränken. Nach Wiederholung der Bestellung und mehrfachem Kühlschrank-Geklappe verziehen sich die beiden wieder mit Flaschen in der Hand.

Das Fräulein dreht sich um, sieht die Schlange, erschrickt sichtlich, strafft die Schultern und tritt lächelnd an die Theke. „Was darf es sein?” Ich bekomme Respekt. Großen Respekt. Dass sie diesen für sie offensichtlich übergroßen Stress erträgt ohne zu Heulen und dabei immer noch versucht, nett und freundlich zu sein, macht sie unglaublich sympathisch.

Zum Schluss bekommen wir unsere Würste. Und auch die Getränke. Es hat alles sehr lange gedauert, verschiedene Sachen sind umgefallen, es wurden sehr viele Wege zurückgelegt und diverse Menschen fragten nach dem Verbleib von Speisen und Getränken. Außerdem ist die Kasse bestimmt drei mal ausgefallen. Aber die Imbissperle stand wie ne Eins.

Als wir zahlen, bin schon vom Zugucken total groggy. Ich weiß nicht, wie sich die so überaus bemühte, aber überhaupt nicht eingearbeitete Mitarbeiterin fühlen muss. Ich weiß nicht, wie Chefs auf die Idee kommen können, Mitarbeiter so dermaßen unvorbereitet auf siedendes Fett und eine Horde hungriger Leute loszulassen. An ihrer Stelle hätte ich mich am Ende des Tages garantiert betrunken und wäre nie, nie, nie wiederkommen. Ganz sicher. Aber eines ist auch noch sicher: Sie hat nicht nur den Würsten mit viel Stil ihre Würde zurückgegeben. Sie hat sich äußerst würdig den goldenen Pokal für die beinhärteste Imbissperle verdient. Wer sich hinter dem Tresen ohne Erfahrung durch so einen Tag brutzelt, beißt sich überall durch. Ich bin heimlich stolz auf „unsere” Imbissperle.

Credit: Foto von Shutterstock by Martin Rettenberger