Wie die meisten Paare haben der Mann und ich Strategien entwickelt, die es uns ermöglichen, abends, nach einer 9–10 stündigen Trennung mit den üblichen stacheligen Unwegbarkeiten des Alltags, wieder flauschig zueinander zu finden. Kurz heisst das übrigens „Paar-Rituale”. Man macht mehr oder weniger immer das gleiche, um einzuläuten „Alles gut hier, alles wie immer, willkommen im Nest, niemand isst hier niemanden auf, kein Keulenschwingen notwenig, wir gehören zusammen”. Ist das langweilig, spießig und der beste Weg in die Beziehungskrise? Mitnichten. Glaubt bitte bloß nicht diesen gewissen Frauenmagazinen die behaupten, wenn man es nicht ohne Zeitverlust mindestens dreimal in der Woche perfekt epiliert (das gilt für beide) auf unterschiedlichen Küchengroßgeräten tut, sei die Langweile und das Beziehungsaus direkt vorprogrammiert. Räumt lieber zusammen den Geschirrspüler aus. Meinen ersten aufregenden Ausflug in die jüdische Küche verdanke ich zum Beispiel überraschenderweise einem unserer liebgewonnenen (und nur ganz wenig schrulligen) abendlichen Paar-Rituale in der Küche.
Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, ist der Mann nämlich häufig gerade dabei, den Geschirrspüler auszuräumen. An guten Tagen stelle ich mich dann unverbindlich dazu, schenke mir ein Glas Wein ein und wir plaudern entspannt über den Tag. An schlechten Tagen beschweren sich entweder der Mann oder ich lautstark über das Leben, das Universum und den ganzen Rest, während der andere zustimmend brummt und an den (meistens) richtigen Stellen ohoh oder tssstsss macht. Dazu gibt es eine Menge Geschirrgeklapper, dem ich mich sehr gefasst ergebe (Paar-Ritual Teil 1).
Nachdem wir die erste Etappe des Abends (und das zweite Glas Wein) so oder so erfolgreich hinter uns gebracht haben, geht der Mann anschliessend für´s Abendessen einkaufen. Meistens bringt er zusätzlich Lebensmittel mit, die nicht auf dem Zettel standen (Partymöpse der Firma Fisch-Fasch?!, Apfelwein aus Blaubeeren?!). Die Einkaufstaschen sind dann wie große Überraschungstüten für Frolleins, aus denen Dinge kommen, die ich selbst niemals gekauft hätte. Hier sieht die stille Übereinkunft übrigens vor, dass der Mann die vollen Einkaufstüten ächtzend auf dem Küchenboden vor dem Geschirrspüler abstellt, während ich für das Einräumen in den Kühlschrank zuständig bin. Besonders interessante Stücke seiner Jagd präsentiert der Mann allerdings sehr gern selbst (Paar-Ritual Teil 2). So zog er letztens eine riesige blaue Packung mit verschnörkelten Schriftzeichen aus den Tiefen einer Tasche. „Hier”, sagte er. „Habe ich mitgebracht: Matzos.”
Was soll ich sagen: Treffer, versenkt. Ich wollte immer schon Matzo Ball Soup – oder auf Deutsch – Mazze-Knödelsuppe machen. Auf amerikanischen Blogs habe ich so oft über das typisch jüdische Gericht zu Passover (dem Pessachfest) gelesen. Die Klößchen werden aus Mazzemehl oder gemahlenen Matzót-Broten hergestellt. Die riesigen crackerartigen Matzót-Brote bestehen lediglich aus Mehl und Wasser. Fast geschmacksneutral und nur durch Rösten mit ein wenig Aroma ausgestattet, sollen sie an den jüdischen Auszug aus Ägypten und die Befreiung aus der Sklaverei erinnern. Während der Flucht durch die Wüste konnten die Menschen nämlich laut Legende nur ungesäuertes Brot backen. Der Verzehr der koscheren Matzót und Matzo Ball Soup gehört daher jedes Jahr zu einem der wichtigsten jüdischen Feste unbedingt dazu. Überhaupt scheint die Suppe mindestens in New York besonders hipp, allgegenwärtig und gegen Grippe mindestens so gut wie Penicillin zu sein.
Aber wo bekommt der deutsche Durchschnittsverbraucher so extravagante Zuaten wie Mazzemehl bzw. Matzót-Brote? Spannenderweise offensichtlich aus dem hier erwähnten Supermarkt um die Ecke, vom Mann persönlich gejagt. Oder auch aus dem Knäckebrotregal in gutsortierten anderen Supermärkten. Und so machte ich mich also am Wochenende nach diesem Rezept ans Werk, zerschredderte Matzót-Brote in meinem Blitzhacker, mischte das Matzót-Mehl mit Ei, Öl, Pfeffer und etwas Wasser und warf kleine Klößchen und etwas Gemüse in köchelnde Hühnerbrühe.
Das Ergebnis: Ein sehr sanfte, harmonische und leckere Suppe, in der alle Bestandteile für sich wunderbar zur Geltung kommen. Die Klößchen gehen ähnlich wie Grießklößchen auf, erinnern aber in ihrer Konsistenz eher an Markklößchen. Geschmacklich sind die Matzo-Klößchen herzhaft und nehmen das Aroma der Brühe sehr gut an. Eine perfekte herzhafte Variante für Vegetarier: Markklößchen ohne Fleisch (dann auch lieber in Gemüsebrühe gegart).
Mann und Kind waren (naturgemäß) erst etwas skeptisch und dann total begeistert. Matzo Ball Soup ist ab sofort auch bei uns total hipp. Und Paarrituale sowieso.
Und so geht´s für 3 Personen (in einer nicht koscheren Küche gekocht):
2 Matzót-Brote im Blitzhacker fein zerkleinern, bis ein Mehl entsteht. 2 Eier mit 2 EL Öl, 2 EL Mineralwasser, 1 Prise Salz & Pfeffer und evtl. 2 EL gehackter Petersilie gut verschlagen. Dann das Matzót-Mehl einrühren und ein paar Minuten stehen lassen.
2 Liter leichte Hühnerbrühe (Vegetarier nehmen Gemüsebrühe) in einem großen Topf zum Kochen bringen. 3 große Möhren und 3–4 Stangen Sellerie oder ein 1/4 Knolle Sellerie schälen bzw. putzen und in größere Stücke schneiden. Die Hitze der Brühe zurückschalten, sodass sie nur noch simmert und dann das Gemüse in den Topf geben.
Die Matzót-Mischung noch einmal durchrühren, mit angefeuchteten Händen walnussgroße Klößchen formen und diese in die Brühe gleiten lassen.
20 – 30 Minuten bei kleiner Hitze simmern lassen. Die Klößchen sind fertig, wenn Sie ihr Volumen vergrößert haben und an der Oberfläche schwimmen. Man kann sie aber auch ohne Probleme länger in der Brühe ziehen lassen – dann nehmen sie noch mehr von der würzigen Flüssigkeit auf und sinken irgendwann wieder zu Boden.
In Suppenschalen schöpfen und evtl. mit etwas Petersilie bestreuen.
Tipp: Bei Erkältung die Brühe mit einer Extra-Prise schwarzem Pfeffer würzen.
Und dazu ein bisschen Village People mit ihrem Kracher Matzót Man! Hab ich jetzt die ganze Zeit dazu geohrwurmt. Schöne Rituale habt ihr da, Spülmaschine ausräumen und Wein trinken. Wir haben mal en Weile das Ende der Woche regelmäßig mit Sushi und Longtrinks gefeiert, aber da hat der Samstagmorgen so drunter gelitten…
Matzót Matzót Man…
I’ve got to be, a…
Sieht wirklich köstlich aus <3
So ähnlich ist es bei uns auch. *lach* Ich komme früher nach Hause als mein Mann und werkele schon mal vor, er bringt dafür hin und wieder noch Einkäufe mit nach Hause. Aber sonst, relativ ähnlich. Ich finde dieses Rituale übrigens gar nicht spießig. Im Gegenteil, eher total schön. :o)
Die Suppe liest sich total lecker. Diese Matzót-Brote gibt es bei uns auch quasi an jeder Ecke zu kaufen. Ein guter Grund, die Suppe mal zu testen. Lieben Dank für das Rezept.
Die sieht wirklich sehr lecker aus! Könnt’ ich Abends glatt noch gebrauchen – zum Aufwärmen! ;) Lieben Gruß Susanne
Matzen gab es für uns als Kinder früher immer zum dran Mümmeln (richtiges Pottdeutsch). Scheint es also auch schon in den 80ern hier gegeben zu haben. Da ich es allerdings als eher geschmacksarm (macht ja Sinn) in Erinnerung habe, habe ich ihnen nie wieder eine Chance gegeben. Vielleicht ja jetzt mal in der Suppe!
Einen Ausflug in die jüdische Küche habe ich schon so lange vor, bisher aber leider noch nicht geschafft. Erstes Ziel sollte die koschere Kantine in der Synagogen-Gemeinde hier bei uns in Köln werden… Danke, dass du mich daran erinnerst!
Und ein Hoch auf die schönen Seiten des “Spießertums”… :)
Danke! Das wollt ich schon immer mal ausprobieren… Jetzt brauch ich nur noch einen gut ausgestatteten Supermarkt um die Ecke ;)
Wir haben auch solche Rituale – ich entspanne beim Kochen und er fragt jedesmal, ob er mir helfen kann. Ich antworte immer mit nö nö! Dafür ist er fürs Abräumen und spülmaschinen zuständig :)
Matzen hab ich mal im letzten Jahrtausend (ja, voll cool dass man sowas ganz ernst sagen kann) auf einer Klassenfahrt gegessen. Aber dein herzallerliebster Mann ist ja lustig. Erst schleppt er die Matzen an und dann beäugelt er die daraus entstandene Suppe skeptisch? Tssssstsssss. :o)
Liebe Grüße von der Luna
Ich hab das Brot eigentlich immer zuhaus, ein wenig Butter und Salz drauf und das unkontrollierte Bedürfnis nach “irgendwas” ist beseitigt :)
Schöne Suppe!
Paar-Rituale kenne ich, aber stehe ich dabei nicht immer an der Spülmaschine und/oder gehen zum Einkauf? Ich sehe, hier muss sich schwerstbald etwas ändern. Oder habe ich mal wieder den falschen Blick von der völlig verkehrten Straßenseite ;-). Wiedereinmal eine schöne Geschichte und ein feines Rezept!
ooooh, jewish penicillin mit knedlach!
himmlisch!
die hühnersuppe kannte ich auch immer als sogenannte solotaja sup, also goldene suppe. zu diesem behufe wird eine zwiebel halbiert und in einer pfanne, am besten gusseisern, völlig fettfrei auf den schnittseiten so lange geröstet, bis sie kohlrabenschwarz ist. so gibt man die beiden zwiebelhälften in die brühe, das gibt die goldigkeit der suppe.
da wünscht man sich doch glatt ins bett mit einer erkältung, damit einem so ein süppchen gereicht wird!