Die fliegenden Milchkannen der Bio-Sennerei Hatzernstaedt Heumilch g.t.S. #sennermeetsblogger | GourmetGuerilla.de

Die fliegenden Milchkannen der Sennerei Hatzenstädt: CO2-neutraler Transport mit der Seilbahn seit 1937 #sennermeetsblogger

Enthält Werbung für fliegende Heumilch g.t.S.
Enthält Werbung für fliegende Heumilch g.t.S.

Ich starre angestrengt in Richtung Wald. Gleich sollen sie durch die Luft angeschwoben kommen – die fliegenden Milchkannen vom Kufstein Land. Bisher ist allerdings noch nichts zu sehen – nur die wunderschöne, einsame, grüne Tiroler Natur. Vor ein paar Minuten waren wir noch oben auf der Hochweide vom Heumilchhof Ahorn der Familie Gstir. Da hat Bauer Martin großen Kannen mit der gerade frisch gemolkenen Heumilch in eine Holzgondel verfrachtet. Dann hat er den kleinen Generator der antiken Milch-Seilbahn angeworfen, es hat etwas geruckelt und getuckert – und die Holzgondel ist plötzlich losgesaust. Ungefähr eine Minute lang konnten wir die Gondel noch sehen, dann ist sie in den Wald eingetaucht. Grandios!

Am liebsten hätte ich mich ja in die Gondel gesetzt und wäre mitgefahren. Aber die Personenbeförderung ist leider verboten. (Ich bin mir im Geheimen allerdings ziemlich sicher, dass da in den vergangenen 80 Jahren bestimmt schon der eine oder andere Bauer auf diese Art eine lustige Fahrt ins Tal hatte.)

Aber wir sind trotzdem ebenfalls losgesaust – mit dem Auto die kurvigen Sträßchen den Berg hinab zur Mittelstation der einmaligen Tiroler Milchseilbahn. Hier warten wir nun auf die Ankunft der Gondeln. Neben Familie Gstir gibt es in der Umgebung nämlich noch 29 weitere Milchbauern, die ihre frische Bio-Heumilch zwei Mal am Tag zeitgleich mit der Seilbahn Richtung Tal schicken. Auf der Mittelstation werden die Kannen dann fix umgeladen und auf den nächsten Teil ihrer Reise zur Sennerei Hatzenstädt geschickt.

Und da kommen sie! Quasi lautlos schwebt die große Gondel mit 10 großen Milchkannen über unsere Köpfe hinweg durch die Luft. Nur ein leises Surren ist zu hören. Dann wird die Milchgondel etwas langsamer und verschwindet in einer Seitenöffnung der Mittelstation. Bauer Hans ist hier für das flotte Umladen der frischen Heumilch verantwortlich – und so wie es ausschaut, braucht der Hans mit diesem Zusatz-Job garantiert niemals ein Abo im Fitnessstudio: Die Kannen werden mit reiner Muskelkraft aus den angekommenen Gondeln gehoben und umverladen. Auch die Mich seiner eigenen Heumilch-Kühe stellt Hans schnell dazu, dann saust die frische Rohmilch auch schon weiter ins Tal. Hans und ich schauen der Gondel nach, bis sie wieder im nächsten Wald verschwindet.

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Die Themen, mit denen wie uns heute intensiv beschäftigen, waren vor 80 Jahren natürlich noch keine. Klimawandel, CO2-Neutraltiät und Co. – die Michhöfe auf den Hochalmen hatten damals ganz andere Schwierigkeiten zu bewältigen. Ohne Straßen oder auch nur ansatzweise befestigte Wege, musste man sich zu Fuß stundenlang durch die nicht erschlossenen Natur ins Tal durchwurschteln. Und das mit drei großen Milchkannen im Gepäck? Unmöglich. Bei meterhohem Schnee im Winter war so überhaupt kein Durchkommen mehr denkbar. Darum ersann man 1937 die Seilbahn, die es ermöglichte, die Milch von den vielen Höfen der Region über Mittelstationen zur Sennerei ins Tal zu transportieren. Superschnell, supersicher und mit ganz wenig Energieaufwand.

Die Seilbahn arbeitet nach dem Prinzip des Gegengewichts: Während eine Gondel mit den vollen, schweren Milchkannen am Seil ins Tal saust, zieht sie gleichzeitig eine Gondel mit leeren Milchkannen zurück auf den Berg. Ein ewiger Kreislauf, der nur ganz am Anfang eine kleine Starthilfe vom Generator braucht. Danach funktioniert die Milchkannenbeförderung quasi laut- und energielos. Schade, dass die plietschen Erfinder dieser tollen Seilbahn nicht mehr erfahren können, wie sehr uns ihre Idee heute begeistert!

Und das System läuft … und läuft … und läuft. Da die Konstruktion so simpel ist, ist sie auch besonders unanfällig für Störungen. Daher kommt es auch so gut wie nie zu Ausfällen. Allein sehr starker Schneefall im Winter könnte dazu führen, dass das Gewicht des Schnees ein Seil zum Reißen bringt. Aber an so einen Vorfall kann sich zumindest in den letzten Jahrzehnten keiner in der Sennerei Hatzenstädt erinnern.

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Und genau dahin fahren wir jetzt schnell weiter – zur Bio-Sennerei Hatzenstädt in Niederndorferberg. Hier ist die Endstation der wilden Gondelfahrt und der Ort, an dem die ultrafrische Bio-Heumilch zu fantastischen Spezialitäten verarbeitet wird.

Es ist schon ziemlich dunkel geworden, als unsere Gondel mit der Heumilch eintrifft. Wie aus dem Nichts taucht sie plötzlich auf, wird langsamer und verschwindet dann zwischen den Schwingtüren der Sennerei. Die Milch ist gelandet.

Sofort steht ein Mitarbeiter bereit, der die Kannen umfüllt und dann den sensorischen Prüfvorgang für die Kontrolle der einwandfreien Milchqualität einleitet. Anschliessend werden die Milchkannen in einer speziell dafür entwickelten Waschanlage gründlich gespült und zurück in die Gondel gestellt. Am nächsten Morgen werden sie dann wieder ganz automatisch  auf den Weg zur Mittelstation machen, wenn von dort die Gondel mit den vollen Kannen losgeschickt wird.

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Nachts wird in der Bio-Sennerei Hatzenstädt nicht gearbeitet. Also mache ich mich  nach ein paar Stündchen Schlaf am nächsten Morgen in Allerhergottsfrühe wieder auf nach Niederndorferberg. Um 6 Uhr stehe ich in der Sennerei parat und erleben, wie nach und nach die Gondeln mit der frischen Morgenmilch von den verschiedenen Bergseiten eintreffen. Ein tolles Schauspiel, von dem ich gar nicht genug bekommen kann. Der Mitarbeiter der Sennerei hat durch genau im Gefühl, wann die Gondeln durch die Türen einschweben und steht dann bereit. Und ich ebenfalls.

Parallel bringen ein paar Bauern, die ihre in der unmittelbaren Umgebung wohnen, ihre gerade gemolkene Milch mit dem PKW vorbei. Zwischen zwei und fünf Kannen werden dabei ohne große Worte und mit einem schnell gemurmelten „Grüß euch“ abgestellt. Dann saust der Bauer direkt wieder los, um sich seinem Hof oder einem anderen Job zu widmen. Immerhin machen die Jungs und Mädels das zwei Mal im Tag an 365 Tagen im Jahr. Langes Palaver sind da nicht mehr nötig.

So, die Morgenmilch des Tage ist komplett eingetroffen – jetzt kann die Verarbeitung beginnen. Im Produktionsraum der Bio-Sennerei sind der Betriebsleiter Franz Hollaus und der Käser Helmut Baumgartner bereits voll dabei, Butter aus der Abendmilch herzustellen. In einem riesigen Butterfass wurde die Milch so lange geschlagen, bis sich die Molke vom Fettanteil getrennt hat. Jetzt füllen die beiden die wunderbar cremige und goldgelbe Butter von Hand in kleine Model mit hübschem Muster. Die Butterstücke werden dann noch blitzschnell in Papier eingeschlagen und fertig ist die tagesfrische Sennereibutter.

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Dann macht der Helmut sich ans Käsen. Er hat die Milch bereits in einem großen Kupferkessel erwärmt. Anschliessend gibt es das Lab dazu, wartet bis die Milch andickt und schneidet dann die Masse in feine Würfel – den sogenannten Käsebruch. (Wer sich für den Prozess des Käsens von Hand interessiert, klickt rüber zu meinem Käsekrimi mit Seelen-Yoga in Wiens einziger Stadtkäserei.)

Wenn der Käsebruch genau die richtige Konsistenz hat – der erfahrene Helmut befühlt und beguckt die warme Masse minutenlang immer wieder genau – wird sie in große runde Käsesiebe gefüllt und mit Gewichten gepresst. Die Molke kann dabei nach unten abließen und zurück bleibt die Käsemusse, die sich in den nächsten Tagen in einem Salzbad und in den folgenden Monaten in Kältekammern zu einem festen, aromatisch gereiften Käse entwickeln wird.

Achtung: Angeber-Wissen Käsebruch! Die Größe des Käsebruchs hängt grundsätzlich davon ab, welchen Käse machen herstellen will. Für weichen Käse und Schnittkäse ist das einzelne Teilchen des Käsebruchs z.B. so groß wie eine Nuss. Für Hartkäse wie Bergkäse wird die Käsemasse viel kleiner, z.B. auf die Größe eines Reiskorns, zerteilt. So kann der Käsebruch weniger Wasser speichern und ist dafür für eine viel längere Reifezeit geeignet.

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Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Milch man für die Herstellung eines einzelnen Käselaibs benötigt. Für vier Emmentaler Käse verarbeitet Helmut in der Bio-Sennerei Hatzenstädt ca. 3.0000 Liter Milch. Da Heumilchkühe sehr stark nach den Jahreszeiten leben (im Sommer auf der Hochweide oder Alm, im strengen Winter im Stall), und ausschließlich natürliches Futter aus frischem Gras und Heu erhalten, schwankt auch die gegebene Milchmenge entsprechend stark. Im Mai liefern die Bauern der Umgebung täglich ungefähr 6.000 Liter am Tag bei der Sennerei ab. Im September sind es dagegen nur noch 3.500 Liter Heumilch pro Tag. Dementsprechend  muss die Bio-Sennerei denn auch ihre Produktion planen und anassen.Im Sommer werden 4-5 Bio-Käse pro Tag hergestellt, dazu frische Butter, Topfen, Joghurt, Buttermilch,  Frischkäse und Butterschmalz (Ghee). Im Winter fällt die Produktion dann entsprechend geringer aus.

Siegel g.t.S. garantiert traditionelle SpezialitätHeumilch ist eine österreichische, geschützte Spezialität und die natürlichste Form der Milchwirtschaft. Darum wurde ihr von der EU auch ein spezielles, kontrolliertes Siegel verliehen: g.t.S. bedeutet garantiert traditionelle Spezialität. Sie erhalten als Futter ausschließlich frisches oder getrocknetes Gras – das Heu. Die Milchbauern ernten das Heu auf ihren eignen Weiden zusammen mit wild wachsen Kräutern und Blumen und lagern dieses in Scheunen für den Winter ein. Eine Fütterung mit Silage oder Kraftfutter ist gänzlich verboten.

Bei der Produktion ihrer Bio-Heumilchspezialitäten arbeitet die Sennerei Hatzenstädt bereits seit 1990 an einem ganzheitlichen Wertschöpfungskette. Damals war die Umstellung auf eine Bio-Genossenschaft noch eine wirklich kapriziöse Idee und nicht jeder Bauer war von Anfang an maximal begeistert. Aber weitsichtige Niederdorfernberger hatten erkannt: Ohne besondere Orientierung würden die vielen kleinen Milchbetriebe mit durchschnittlich 11 Kühen im Stall keine Chance gegen die großen Anbieter haben. Durch durch ein besonderes Konzept würde man ein Alleinstellungsmerkmal erhalten und am Markt bestehen können. Und das Konzept ist aufgegangen.

Heute arbeiten bei Hatzenstädt vier  Mitarbeiter in der Produktion und sechs Mitarbeiter im Verkauf. Besonders stolz ist man darauf, dass man in der Sennerei nicht nur Bio-Produkte herstellt, sondern auch bei der Betriebsführung auf größtmögliche CO2-Neutralität setzt. So wurde die Wärmeerzeugung vor einiger Zeit von einer Ölheizung auf Holzverfeuerung umgestellt. Und das Holz für die neue Heizung stammt von den Genossenschaftsmitgliedern selbst. So haben die Bauern nicht nur einen regelmäßigen attraktiven Zusatzverdienst – es wurden bisher auch 45.000 Liter Heizöl und die Energie für lange Transportwege eingespart.

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Die köstlichen Heumilch-Spezialiäten kann man bei Hatzenstädt direkt im angeschlossenen Lädchen verkosten und kaufen. Viele Tirol-Urlauber planen vor der Heimreise noch einen kurzen Stop bei Hatzenstädt ein, um sich für zu Hause mit den tollen Heumilchkäsen einzudecken. In Österreich bekommt man die Hatzenstädt-Bio.Produkte auch unter einem besonderen regionalen Label in Supermärkten.

Meine persönliche Empfehlung ist der geräucherte Käse – eine tolle Idee, die dem Käse nicht nur eine auffällige Farbe, sondern auch eine wunderbar herzhafte Rauchnote verleiht. Aber auch der Bergkäse ist wahnsinnig lecker. Oder der Naturjoghurt mit seiner feinen Würze …

Solltet ihr mal im schönen Tirol und dem Kufstein Land unterwegs sein, schaut unbedingt auf einem Sprung in der Bio-Senner Hatzenstädt vorbei. Es ist auch sonntags geöffnet. Und wer weiß – vielleicht könnt ihr dabei sogar die einmalige Milchseilbahn in Aktion sehen.

SENNEREI HATZENSTÄDT
Gränzing 22, 6346 Niederndorferberg
www.hatzenstaedt.at

Öffnungszeiten:
Montag – Freitag 9-12.00 h und 14 18.00 h | Samstag 9-12 und 14-17.00h | Sonntag und Feiertage 9 – 11 Uhr


Info:
#sennermeeetsblogger ist ein Projekt der AMA. Zusammen mit Simone von S-Küche und Tine von Trickytine sind wir in Österreich auf den Spuren der Heumilch unterwegs. Die Heumilch wurde von der EU mit dem Gütesiegel g.t.S. – garantiert traditionelle Spezialität geschützt. Vielen Dank an Heinz Gstir, Franz Hollaus, Helmut Baumgartner und alle anderen tollen Kollegen der Bio-Sennerei Hatzenstädt für den herzlichen Empfang, die Zeit und die Bereitschaft, mich in einen normalen Arbeitstag hineinschnuppern zu lassen!